Geld als Wertform
Franz Rieder • Umkehrung der Wertform – bilanziert (nicht lektorierter Rohentwurf) (Last Update: 26.05.2019)
Geld ist also nun verschwunden. Aus unserem Berufsalltag, aus unseren
geschäftlichen Aktivitäten, aus vielen privaten Bereichen.
Das Eigentums-Contracting ist in den Hintergrund eines
Interbanken-System-Contracting verbracht worden, auf dessen
Oberfläche Geld lediglich Geld als Buchgeld oder money of
account sichtbar ist. Diese Sichteinlagen repräsentieren
vordergründig money proper, aber, wie wir eben sahen, in einem
rechtlich nicht mehr eindeutigen Zustand, den man spätestens bei
einer Bank-Insolvenz erlebt.
Der Wandel von einem eindeutigen
Eigentums-Contracting hin zu einem mehrdeutigen
Interbanken-System-Contracting, das u.a. aber hauptsächlich in
Form von Sichteinlagen auf Giralbankkonten die Beziehung von Buchgeld
zu Eigentumswerten verwaltet, ist um eine Wendung, eine Umwälzung
zu einem neuen Markt, dem Giral- oder Interbankenmarkt gelaufen. Dort
werden Werte verwaltet. Und in diesen Werten sind Güter und
Buchwerte eine wechselseite Repräsentation eingegangen. Geld
steht für die Wertform des Gütertauschs und diese wiederum
für Geld als dessen Buchwert.
Sehen wir den Unterschied. Auf einem Kreditmarkt auf der Grundlage von Eigentums-Contracting wird Geld gegen eine Eigentumsverfügung von einem von da an Gläubiger genannten Eigentümer liquidiert und gegen einen Zins für diese Verfügungseinschränkung von Vermögen und gegen gute Bonität bzw. Sicherheit an einen Schuldner, der wiederum einen Teil seines Vermögens dazu verfügt bzw. blockiert, ausgereicht. Der Gläubiger tut dies im Anspruch auf Zurückzahlung plus Rendite zur Sicherung und Akkumulation seines Vermögens wie der Schuldner in Aussicht auf spätere Gewinne und zu dessen Vermögensakkumulation. Man könnte die Frage stellen: Warum investiert nicht jeder einen Teil seines Vermögens in Form von Investivkapital in ein eigenes Unternehmen? Ganz einfach; weil er als Gläubiger die damit verbundene Geschäftstätigkeit nicht oder nicht mehr will, anderseits, weil er als Schuldner neben fiskalischen Vorteilen den Vorteil der Liquidierung von Vermögen durch den Gläubiger nutzen möchte und so eigenes, bereits bestehendes Vermögen nicht antasten muss. Zudem ist diese Form der Liquiditätsbeschaffung wesentlich schneller und einfacher.
Diesen Vorteil haben sich die Giralbanken zum Nutzen gemacht. Musste vorher der Gläubiger jeweils im Einzelfall die Bonität des Schuldners und die Duration seiner Kreditierung selbst bestimmen, kommt diese Tätigkeit nun den Banken zu. Banken nehmen aber nicht notwendigerweise eine Bonitätsprüfung im Einzelfall vor, sondern verallgemeinern das Risiko auf alle Giralkonten. In der Praxis werden zur Bonitäts- bzw- Risikoeinschätzung Branchendaten zum Vergleich herangezogen. Geldausreichungen werden damit nicht mehr als Gläubiger-Schuldner Geschäfte gesehen, sondern eine Vielzahl an Konten mit einer hohen Summe an Buchgeldern sind nun als „database money“ zur Kreditierung bereit.
Hat
früher der Gläubiger durch sein Eigentums-Contracting weder
Güter noch Geld verloren, sondern lediglich seine Fähigkeit
zur Geldbeschaffung durch die Blockierung in Schuld- bzw.
Forderungstitel verringert, so sehen wir bei Banken diesen
Eigentumseffekt nicht.
Unzureichendes
Eigenkapital1
der Banken war, wie wir sahen, einer der Hauptgründe für
die Finanzkrise 2007/08. Kapitalschwache Banken konnten ihre Verluste
nicht selbst auffangen und daher
wurden staatliche Bankenrettungen nötig. Eine Verschiebung von
Haftungsrisiken fand ebenso statt wie eine nicht unerhebliche
Vermögensverschiebung.
Seitdem haben die Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden die Haftungsuntergrenzen der Banken zwar geringfügig erhöht, zumindest im Vergleich zu den extrem niedrigen Anforderungen, die vor der Krise galten. Heute sehen wir wieder viele Banken in ihrem Bemühen, alle Hebel, vor allem im Lobbying, in Bewegung zu setzen, um diese Eigenkapitalvorschriften erneut zu schwächen. Aber worin liegt diese Schwächung und wen betrifft sie?
Sie
betrifft vor allem die Bürgerinnen und Bürger einer
Gesellschaft, denn das Eigenkapital
der Banken soll sie vor einer Bankenkrise schützen. Auch hier
soll also das Eigenkapital bzw. das Eigentum nur so weit belastet
werden, dass ein Institut nicht in Schieflage kommen kann. Aber an
dieser Gleichgewichtsformel ist nichts mehr im Gleichgewicht.
Die
Weltfinanzkrise hat auf drastische Weise gezeigt, wie kapitalschwache
„systemrelevante“ Banken die Stabilität der
Wirtschaft und des Finanzsystems gefährden können. Doch
selbst in ruhigen Zeiten beabachten wir die Angst vor der
Instabilität des Finanzsystems. In allen zwischen 1985 bis zum
Jahr 2002 untersuchten rund dreißig Bankenkrisen war das
Eigenkapital der Banken der Schutzwall, der die Bürger vor
riesigen finanziellen Verlusten bewahrte.
“Eine der
Hauptursachen für die Schwere der Finanz- und Wirtschaftskrise
ist im Aufbau übermäßiger Fremdfinanzierung im
Bankensystem vieler Länder zu suchen. Hinzu kam eine allmähliche
Verschlechterung in Bezug auf die Höhe und Qualität der
Eigenkapitalbasis.“2
In Summe haben die europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nach Berechnungen verschiedener Institute für die Bankenrettung und die gesamtwirtschaftliche Abschwächung in Folge der Finanzkrise rund 2,4 Billionen Euro oder jeder Haushalt in Europa mit umgerechnet etwa 11.000 Euro an Wertverlust bezahlt. Doch weitaus schlimmere Auswirkungen hat die hohe Zahl an Arbeitsplatzverlusten in vielen Sektoren und Ländern der EU, die Vermögenseinbußen aus privaten Versicherungen, die kurz- und mittelfristigen Folgen von Wirtschaftsmigration etc.3
Das Zauberwort und Mittel der Wahl, als wäre es erst und allein für die Finanzbranche erfunden worden, um hier Insolvenzen zu vermeiden, heißt Eigenkapital. Aber das nun vielgepriesene Mittel vor einer Haftungsverschiebung von Privatunternehmen auf die Allgemeinheit der Steuerzahlerinnen und -zahler behält den Diskurswechsel und die neue Semantik bei. Das Eigenkapital einer Bank ist ein Finanzierungsmittel und auf keinen Fall mit den „Reserven“ oder „Rücklagen“ einer Bank zu verwechseln. Dass diese „Verwechslung“ aber stattfindet und auch „gewollt“ ist, beschäftigt uns natürlich um so mehr.
Die Umkehrung der Wertform
Wir beginnen da, wo in unserer Vorstellung Geld und Kapital als Ausdruck für Deckung und Haftung von Vermögenswerten verstanden werden. Geld oder Geld als Kapital, als dessen produktive Verwendung, als Produktionsfaktor also in die Sichtweise der keynesianischen und montärkeynesianischen Ökonomik als die maßgeblichen wissenschaftlichen Interpretationen und Grundlegungen für unsere moderne Art und Weise, Wirtschaft und wirtschaftliches Handeln, also Makro- und Mikroökonomie zu denken, gerät. Eine erste, sichtbare Umkehrung findet man allein schon darin, dass Kredite nicht wie bei anderen Unternehmen auch auf der rechten Seite der Bankbilanz stehen. Bei einer Bank stehen die an ihre Kunden ausgereichten Kredite auf der linken Seite. Das rührt daher, dass die Bank gegenüber dem Kreditnehmer, der Zinsen und Tilgungen an eine Bank zu zahlen hat, eine Kreditforderung geltend macht.
Auf
der Seite der Aktiva der Bilanz stehen normalerweise in
Unternehmensbilanzen die einem Unternehmen zur Verfügung
stehenden Vermögensgegenstände dar. Bei Banken wird so
getan, als ob die ausgereichten Kredite zu ihrem Vermögen, also
zu ihrem Kapital gehören, was natürlich so nicht stimmt.
Denn eine Bank führt auf der Passivseite ihrer Bilanz, wie wir
gleich sehen werden, durchaus andere Vermögenswerte, als die
ausgereichten Kredite.
Je mehr Kredite eine Bank vergibt, umso
mehr dieser Art von Vermögenswerten besitzt sie, kann damit
arbeiten und also umso mehr Gewinne machen.
Daneben verfügen Banken noch über andere Arten von Vermögenswerten, und zusammen füllen sie die Aktivseite einer Bankbilanz aus.
Nun stellt sich zuerst die Frage: wie diese Vermögenswerte finanziert werden? Stellt man diese Frage an die Bilanz, dann schaut man auf die rechte Spalte und sieht, Banken geben verschiedene Finanzierungs-Quellen an, z.B. Einlagen ihrer Kunden, Verkauf von Bank-Anleihen an Investoren oder indem sie sich von anderen Banken Geld leihen, z.B. am sogenannten Interbankenmarkt und/oder dem „Overnight-Repo-Markt“4.
Auf der rechten, der Passivseite der Bilanz, finden wir also alle jene Investoren und Einleger, die ihr Geld von der Bank meistens mit einem Zins vergütet zurückverlangen können.
Kapital
ist also nur eine dieser Finanzierungsquellen und als eine Forderung
von den Aktionären einer Bank an die Bank, steht es ebenfalls
auf der Passivseite. Will man verstehen, warum Eigenkapital so
wichtig ist, sollte man bedenken, dass, wenn einige der ausgereichten
Bankdarlehen nicht zurückgezahlt werden und damit eine Insolvenz
droht, die Bank eine Wertberichtigung ihrer Vermögenswerte
vornehmen muss und so die linke Spalte kleiner wird.
Um Aktiv- und
Passivseite im Gleichgewicht zu halten, muss die Bank darauf hin auch
auf der Passivseite einige Verbindlichkeiten in ihrem Wert
berichtigen, so dass die rechte Spalte sich um den gleichen Wert
verkleinert.
Die Inhaber von Bankaktien sind also die ersten, die Verluste auffangen müssen. Wenn also eine Bank genug Eigenkapital zum Auffangen der Verluste hat, dann schreibt sie einfach nur solange ihr Eigenkapital und die nicht ausgeschütteten Gewinne ab, bis die Verluste vollständig aufgefangen und beide Seiten der Bankbilanz wieder ausgeglichen sind.
Sehen wir auf eine Bank, die zunächst (1) über eine ausreichende Menge an Eigenkapital verfügt, aber in der Zeit einen großen Verlust bei ihren Vermögenswerten hinnehmen muss (2), z.B. wegen ausfallender Kredit-Rückzahlungen, wie wir das bei der Finanzkrise 2007/08 nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes erlebt haben. Ein anderer Grund könnte auch eine Zinsanhebung sein, die die Bankbilanz negativ belastet.
Sie
wird daraufhin einige Vermögenswerte, hier Eigenkapital auf der
Aktivseite abschreiben (3). Um aber die Verluste aufzufangen, muss
sie gleichzeitig die Passivseite um den gleichen Betrag verringern.
Denkt man dies an den Punkt, an dem die Bank ihr gesamtes
Eigenkapital aufgebraucht hat, dann ist aber immer noch
zahlungsfähig, wie man in der Abbildung unschwer erkennt. Kann
sie einen Turn Around schaffen, indem sie neues Eigenkapital zur
Absicherung gegen künftige Verluste aufzubauen vermag, führt
sie seelenruhig ihre Geschäftstätigkeit fort und alles
scheint in bester Ordnung.
Bevor wir uns aber mit strukturellen Problemen der Bank beschäftigen, die wie bei einer Diät in einer Art Jo-Jo-Effekt immer wieder auftreten, schauen wir zuvor noch auf die Bank, wenn sie über zu wenig Eigenkapital verfügt.
Sind die Verluste also größer als das Eigenkapital, ist die Bank insolvent und muss ihre Geschäftstätigkeit einstellen. In diesem Fall muss die Bank nun andere Verbindlichkeiten abschreiben, d.h. sie muss ihren Gläubigern mitteilen, dass sie nicht ihr gesamtes Geld wiedersehen werden. Das gilt auch für die Einleger und andere Banken, von denen sie Geld geliehen hat.
Im Bankwesen stellen Einlagen die von Kunden oder anderen Banken, als Interbankeinlage entgegengenommene Gelder dar. Zivilrechtlich handelt es sich um Darlehen. Je nach Art und Fälligkeit (Duration) unterscheidet man täglich fällige Sichteinlagen, befristete Einlagen (Termineinlagen) und auch Spareinlagen. Bankkunden legen Geldbeträge vorübergehend als Termingelder an, wenn sie zu bestimmten späteren Terminen für Zahlungsverpflichtungen bereitstehen müssen, z.B. für Steuerzahlungen oder auch für Mietkautionen. Ein anderer häufiger Fall ist eine Einlage, um eine günstigere Anlagemöglichkeit in der Zukunft abzuwarten, gleichsam Geld bei der Bank aufzubewahren.
In der Bilanz werden Einlagen als „Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten“ und als „Verbindlichkeiten gegenüber Kunden“ ausgewiesen wozu auch die Spareinlagen gehören. Nach dem Kreditwesengesetz gilt als Einlagengeschäft die „Annahme fremder Gelder als Einlagen ohne Rücksicht darauf, ob Zinsen vergütet werden“. Nach herrschender Rechtsauffassung gehören Sichteinlagen zu der im BGB beschriebenen „unregelmäßigen Verwahrung“ (§ 700 BGB), sonst handelt es sich um Darlehen nach § 607 BGB. Für die unregelmäßige Verwahrung gelten aber im Wesentlichen die Vorschriften über das Darlehen. Und obwohl die Rückzahlung von Einlagen bei Kreditinstituten in Deutschland regelmäßig durch eine Einlagensicherung garantiert ist, waren es in den allermeisten Fällen von Bankkrisen diese Privateinleger oder Halter von Spareinlagen, die den sog. Bank Run ausgelöst haben. Einlagen sind in Deutschland zur Zeit bis maximal 100.000 € pro Person geschützt.
Und eben in diesem Augenblick kommt die Politik ins Spiel. Um eine bereits drohende Panik abzuwehren, besänftigt sie die Sparerinnen und Sparer durch Hinweis darauf, dass sie, die Regierung, die Rückzahlung der Einlagen garantiert, ein Versprechen, dass sie weder halten kann noch das in der Sache stimmt. Die Regierungen wollen nur ihre sog. „systemrelevanten“ Banken, also jene Banken, die dermaßen eng vernetzt, komplex und groß sind, dass ihre Pleite das gesamte Finanzsystem ins Wanken bringen könnte, absichern. Und dafür nutzen sie kein anderes Vermögen, als das Geld der Steuerzahlerinnen und -zahler für die sog. Bankenrettung, wie wir das in der letzten Weltfinanzkrise erleben durften.
Zur
Zeit der Finanzkrise betrug bei den meisten Banken die
Eigenkapitalquote gerade einmal 1,5%. Sie alle waren also hochgradig
fremdfinanziert durch Anleihen und Einlagen. Da war es nicht
verwunderlich, dass schon bei kleineren Wertverlusten bei den Aktiva
ihr viel zu geringes Eigenkapital schnell verbraucht war. Und ebenso
rational war auch der Run auf die Schalter, der von der Angst
getrieben war, dass die privaten Einleger ihre Darlehn, die sie der
Bank gegeben hatten, nicht wieder zurück bekommen, waren diese
doch kaum mit Eigenkapital abgesichert.
Umkehrung der Wertform – bilanziert
Die
Umkehrung der Bilanzpositionen scheint rein formaler Natur, ist es
aber nicht. Die bilanzielle Formalisierung spiegelt mehrere reale
Vorgänge. In Bankbilanzen sind alle privaten Einlagen, die
ursächlich Einzeleinlagen sind, zu einer allgemeinen
Bilanzposition zusammenfasst. Gleichzeitig wurde in der
Zusammenfassung – ohne dies geht es auch nicht – auch die
Vermögenspositionen als Rechtspositionen aufgelöst. Nicht
ganz, denn Anspruch auf den Einlagensicherungssatz haben die
Gläubiger, aber eben nur bis zu dieser Grenze.
Dann haben
Einleger, anders als etwa Aktionäre, grundsätzlich kein
Votum und ein nutzloses Klagerecht, obwohl Privateigentum
verfassungsrechtlich hohen Schutz gewährt. Das Kreditwesengesetz
und das BGB, besonders dort der § 607 und § 700 regeln den
Vermögensschutz durchaus konträr zur sonstigen
Rechtsauffassung eben als eine Form der eingeschränkten Haftung
durch die Bank und in Vertretung durch den Staat.
Bleiben wir noch ein kurzes Stück weit im Kontext der Bankenhaftung, dann führt uns dies zu dem eigentlichen Thema, den Eigenkapitalkapitalvorschriften, die die wichtige Verschuldungsquote, im Englischen leverage ratio, regeln5. Erst im Dezember 2017 wurde Basel III beschlossen, wonach Banken die Standards der Eigenkapitalkapitalvorschriften bis zu einem Satz von 75% erfüllen müssen. Die Standards gehen von einer Verschuldungsobergrenze (Leverage Ratio) aus, die ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Kernkapital und den bilanziellen und außerbilanziellen Geschäften einer Bank sicherstellen soll, um eine übermäßig hohe und deshalb risikoreiche Fremdfinanzierung der Geschäftsaktivitäten zu verhindern.
Allein diese Formulierungen deuten schon darauf hin, dass es sich hier eher um Minimal- anstelle von Maximalpositionen handelt6. Denn der Haken bei der Sache ist, dass die Eigenkapitalquote nicht auf alle Vermögenswerte einer Bank voll umfänglich angewendet wird. Es zählen in der Bilanz nur die „risikogewichteten Aktiva“ und die nur zu etwa dreiviertel. Denn die Bank bewertet ihre Aktiva anhand von Standards, von statistischen Rechenmodellen und dann auch noch selbst und meistens beträgt der risikogewichtete Wert jedoch gerade einmal ein Drittel oder die Hälfte der ungewichteten Bilanzsumme.
Vor
der Deregulierungs- und Liberalisierungswelle des Finanzsektors in
den 90er und Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts verfügten
Banken über wesentlich mehr Eigenkapital als heute. Hinzu kam,
dass viele Banken kooperativ, teils sogar in partnerschaftlichen
Geschäftsverhältnissen organisiert waren, ihre
Geschäftsleitung und leitenden Manager langfristig beschäftigt
waren und bereits viele Hochs und Tiefs selbst erlebt hatten und
daher Banken größere Kapitalpuffer bevorzugten. Zudem
hingen die Vergütungen und besonders die Boni-Zahlungen nicht
von der Bilanzsumme und deren Entwicklung ab.
Tatsächlich
haben es sich Banker zweimal überlegt, bevor sie ihr Eigenheim
bei einer Finanzwette aufs Spiel setzten. Eine Leverage Ratio von
15-20% oder mehr waren für Banken vor 100 Jahren noch normal,
was bedeutete, dass Banken sich höchstens das 5-6-fache ihres
Eigenkapitals an Fremdkapital leihen durften. Im Jahr 1840
finanzierten sich US-Banken sogar zu 50% und mehr über ihr
Eigenkapital.
Die
neuen Basel-III-Regeln
sehen vor, dass Banken über Eigenkapital in Höhe von
mindestens 8% ihrer
risikogewichteten Aktiva verfügen müssen. Ab dem 1. Januar
2019 müssen die größten, „systemrelevanten“
Banken eine Quote von 11,5 bis zu 13,0% und die meisten anderen
Banken eine Quote von 10,5% erfüllen. Wie wir oben vermerkt
haben, trügen die Zahlen. Denn waren früher die
Eigenkapitalanfroderungen im Verhältnis zu allen Aktiva gesetzt,
so bleiben sie auch in Zukunft nur zu den risikogewichteten
Aktiven.
Nun
ist es so, dass risikogewichtetes Eigenkapital nur eine sehr ungenaue
Grundlage zur Bemessung der Robustheit einer Bank darstellt, was in
zwei Studien7
bereits belegt worden ist. Beide kommen zu dem Schluss, dass dass
sich die Kapitalunterlegung kaum verbessert hat bzw. die
Verbesserungen nicht im Geringsten so durchschlagend sind, wie es
einige Kennzahlen erscheinen lassen wollen.
So schaffen es Banken auch heute, die offizielle Leverage Ratio von 8% einzuhalten, obwohl weniger als 3% ihrer ungewichteten Aktiva durch Eigenkapital unterlegt sind8. Die u.s. Rechnung zeigt, dass sie mitnichten aufgeht. Denn die Höhe der Eigenkapitalhinterlegung ist in beiden Fällen Augenwischerei. Um die beiden Darlehn zu finanzieren, muss die Bank über lediglich 5.200 € an Eigenkapital verfügen, was in dieser risikogewichteten Berechnung gerade einmal 2,6% der ausgereichten Gesamtsumme von € 200.000 entspricht. Gleichwohl hat die Bank die Vorgabe von 8% Leverage Ratio eingehalten.
Die Berechnung ergibt also zudem noch eine Bewertung, die weit schlechter als vermutet ausfällt. Stand das Verhältnis von Darlehn zu Eigenkapital bei einer Rate von 3% über alles 1:33, dann steht es nun, würde die Bank weiter so prozedieren, bei ca. 1:50, also deutlich schlechter. Diese Form der risikogewichteten Berechnung der Leverage Ratio dient also allein dazu, einen in Wirklichkeit hohen Verschuldungsgrad zu verschleiern. Des weiteren muss man die Risikoabsicherung der Banken noch dramatischer bewerten, sieht man darauf, dass und dies in Zeiten hoher Zins- und Konjunkturschwankungen ein Verlust von 2,6% das komplette Eigenkapital aufbrauchen würde, das die Bank zur Finanzierung der Kredite in Höhe von 200.000 Euro benötigt, obwohl die Bank die 8% Gesamtkapitalquote erfüllt.
Ein rechtskräftiges „Verschulden“ der Bank bei einer Pleite könnte so nicht festgestellt werden, die Verluste müssten die privaten Vermögensträger selbst tragen. Wir erkennen, dass vermeintlich sichere Vermögenswerte mit großen Verlusten korrespondieren, vor allem, wenn sich die Risikomodelle der Banken als Verschleierung entpuppen. Dann tritt wie 2007/08 ein unerwartetes Ereignis ein, was so unerwartet eigentlich gar nicht war, denn viel hatte im Vorfeld bereits vor der Immobilienblase gewarnt, und schon kurz nach Veröffentlichung der ersten konkreten Anzeichen, also sogar noch die durch die US-Subprime-Hypotheken besicherten Finanzprodukte die Bestnoten bezüglich der Risikobewertung von den Ratingagenturen erhielten, ging die erste Bank in die Knie.
Dasselbe könnte sich bei anderen, scheinbar „sicheren“ Wertpapieren auch in naher Zukunft ereignen. So liegt die Risikogewichtung von Staatsanleihen aus der Eurozone weiterhin bei 0%, d.h. Banken brauchen ihre Engagements in Staatsanleihen überhaupt nicht mit Eigenkapital zu unterlegen. Und so erstaunt es nicht, dass die europäischen Banken nach einem Bericht des Europäischen Parlaments von 2015 seit Ausbruch der Finanzkrise den Anteil an Staatsanleihen in ihren Portfolios verdoppelt haben9.
Eine
zweite Auswirkung der Umkehrung der Vermögensverfügung und
damit auch der Haftungsfrage besteht darin, dass Banken mehr
Hypotheken- als Unternehmenskredite vergeben, weil sie erheblichen
Anreizen unterliegen, in scheinbar “ sichere Vermögenswerte“
zu investieren. Nun muss man aber wissen, dass die grundlegende
Umkehrung der Wertform Geld gerade darin lag, dass Politik im Verein
mit den Banken und der Geldwirtschaft insgesamt von de
Vermögensverfügung als der besonderen Form des
Wirtschaftens auf die allgemeine Geldform nur deshalb gewechselt
sind, weil sie darin die Grundlage allen Wirtschaftens in den
Tauschprozessen der Güter- und Warenmärkten repräsentiert
sahen.
Anstelle einer Eigentumswirtschaft trat also eine
Tauschwirtschaft, in der Geld als Repräsentation der
Marktprozesse angesehen wurden. Solange und so schnell also der Markt
reibungslos Wirtschaftsgüter auf die Märkte zu bringen in
der Lage war, fließen neben den Waren- und Güterströmen
auch entsprechende Geld- bzw. Kapitalströme; so jedenfalls das
große neue Glaubensbekenntnis der Ökonomik.
Anmerkungen:
1 Eigenkapital
von Banken - Definition
Das Eigenkapital einer Bank setzt sich
aus drei Bereichen, dem Kernkapital, Ergänzungskapital und den
Drittrangmitteln zusammen. Dieses Haftende Eigenkapital der Banken
soll adäquat zu den Risiken ausreichen, um die Einlagen der
Gläubiger nicht zu gefährden. Mit den
Eigenkapitaladäquanzrichtlinien (Basel I, II, III) kommt diesem
Eigenkapital eine weiterhin wichtige Bedeutung zu. Zum Kernkapital
gehört das bilanzielle Eigenkapital (Eingezahltes Grundkapital,
Rücklagen und Gewinn) und das Ökonomische Eigenkapital
(Sonderrücklagen abzüglich Korrekturpositionen). Zum
Regulatorischen Eigenkapital gehören zusätzlich
langfristige Verbindlichkeiten. Eine detaillierte Übersicht der
Einzelpositionen kann einer Bankbilanz entnommen bzw. bei der
Deutschen Bundesbank angefordert werden.
(www.finanzen.net/wirtschaftslexikon/Eigenkapital-von-Banken)
2 BCBS
(Basel Committee on Banking Supervision) 2010, Seite 1, Abs. 4
Der
Begriff ‚übermäßige Fremdfinanzierung‘
bedeutet nichts anderes als eine zu niedrige Eigenkapital- bzw. zu
hohe Verschuldungsquote.
3 Siehe Citizens’ Dashboard of Finance
4 Die Repo-Märkte sind eine wesentliche Quelle besicherter Finanzierungen für Banken und Finanzinstitute wie auch ein zentrales Instrument für die Umsetzung der Geldpolitik. Bei einem Pensions- oder Repo-Geschäft („sale and repurchase agreement“ – kurz „Repo“) wird ein Wertpapier verkauft und gleichzeitig der Rückkauf dieses Wertpapiers bei Kontraktende zu einem festgelegten Preis vereinbart.
5 Seit 1988 sind die Eigenkapitalkapitalvorschriften im Wesentlichen durch die “Basler Abkommen” geprägt worden, die von einem internationalen Gremium von Bankenaufsehern, dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (auf Engl. Basel Committee on Banking Supervision, kurz BCBS) im schweizerischen Basel beschlossen werden.
6 Ab
2019 setzen sich die Eigenkapitalanforderungen insgesamt wie folgt
zusammen: Hartes Kernkapital von 4,5 %, zusätzliches
Kernkapital von 1,5 % sowie Ergänzungskapital von 2 %
(entspricht 8 %); plus weiterer Puffer aus hartem Kernkapital (einem
Kapitalerhaltungspuffer von 2,5 % (entspricht 7 % an hartem
Kernkapital und 10,5 % insgesamt) plus einem variablen
antizyklischen Puffer plus einem systemischen Puffer für
bestimmte Institute). Siehe BMF.
7 Siehe OECD Journal Financial Market Trends PDF sowie: Andy Haldane in einer Studie der Bank of England.
8 Zwei
Beispielrechnungen: Ein “sicheres” Hypothekendarlehen im
Wert von 100.000 Euro würde beispielsweise mit 15%
risikogewichtet und sein Wert daraufhin auf 15.000 Euro nach unten
korrigiert. Wendet man nun eine Eigenkapitalquote von 8% an, dann
müsste dieser Kredit mit 1.200 Euro an Eigenkapital hinterlegt
werden (100.000 x 15% x 8%)
Ein riskanteres Darlehen von 100.000
Euro an ein Unternehmen mit moderatem Risiko-Rendite-Profil würde
beispielsweise mit 50% risikogewichtet und sein Wert daraufhin auf
50.000 Euro nach unten korrigiert, was einer
Eigenkapitalhinterlegung von 4.000 Euro entspricht (100.000 x 50% x
8%)
9 “Nach der Finanzkrise haben [große europäische] Banken ihre Investitionen in Staatsanleihen im Verhältnis zu ihren gesamten Vermögenswerten erhöht, weshalb sie den staatlichen Ausfallrisiken verstärkt ausgesetzt sind. Banken werden aufgrund einer unangemessenen Risikogewichtung von 0% dazu ermutigt in Staatsschuldentitel zu investieren.“ Siehe: Have European banks actually changed since the start of the crisis? PDF
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